Weddinger Sagen und Legenden

Bestimmt werden sich einige Fragen, warum wir hier nicht nur Geschichten aus dem Brunnenviertel zusammengetragen haben. Das ist leicht zu erklären:
Zum einen gehörte dieser heutige Kiez ca. 80 Jahre lang – bis 2001 – zum Bezirk Wedding und zum anderen haben sich die Lebensverhältnisse vor den Toren der Stadt einander sehr geähnelt und viele Entwicklungen bedingten einander.

Hier versammelt sind:
Feldmarschall SparrDer SchweinskopfDer Teufelsstein im Humboldthain
Das Licht in der SebastiankircheDie Glocken der Sebastiankirche
Der Krebs an der SebastiankircheDer kleine Hans in der Müllerstraße
Die DankeskircheDie Sage vom Plötzensee


Feldmarschall Sparr
Grab Otto Christoph von Sparr.Rabanus Flavus
Grabstätte des Otto Christoph von Sparr in der Marienkirche. Foto: Rabanus Flavus/Wikimedia

Am 13. Januar 1661 zog gegen Mitternacht ein Gewitter über Berlin dahin. Plötzlich stand die Spitze der Marienkirche in hellen Flammen. Da sagten die Berliner, der Feldmarschall Sparr, der gegenüber der Marienkirche wohnte, habe die Spitze mit Kanonen heruntergeschossen. Einige meinten, das habe er getan, weil der Blitz eingeschlagen hatte und die Kirche in Gefahr stand, von den Flammen ergriffen zu werden. Als aber der Große Kurfürst davon hörte, verurteilte er den Sparr dazu, den Kirchturm auf eigene Kosten wieder aufbauen zu lassen. Sparr musste gehorchen, aber der Bau kostete sein ganzes Vermögen und machte ihn zum armen Mann.

Otto Christoph von Sparr (um 1600 – 1688) war preußischer Generalfeldmarschall. Sein imposantes Grabmal befindet sich in der Berliner Marienkirche in Alt-Mitte.


Der Schweinskopf

Zwischen dem Johannisstift und dem Putlitzstege, an dessen Stelle man jetzt eine Steinbrücke gebaut hat, liegt ein altersgraues Häuschen: das ist der „Schweinskopf“. Da soll vor einigen hundert Jahren über der Tür der Kopf eines Wildschweines zu sehen gewesen sein, und der Wirt der kleinen Schenke, in der heut Familien nach altem Brauch Kaffee kochen, einen Mauerstein mit der Jahreszahl 1534 besessen haben. Heute erinnert an jene Zeit nur noch ein Bild des Kurfürsten Joachim des Ersten an der Wand des Gastzimmers und die Sage, die ihre schimmernden Fäden um das alte Gemäuer spinnt:

eberkopf
Foto: Sulamith Sallmann

Joachim war kein so froher Weidmann wie sein Sohn Joachim II., aber zuweilen trieb’s doch den Einsamen, den Gattin des Glaubens wegen verlassen hatte, hinaus in den märkischen Kierfernwald, und nicht selten geriet er dabei in Gefahr, so bei Liebenwalde, wo er einen Eber jagte, dem Feuer aus dem Maule schoss, ebenso auch hier beim „Schweinskopf“. Da soll ein wütender Eber den Kurfürsten niedergerannt haben. Joachim wäre verloren gewesen, wenn nicht ein Köhler, der in der Nähe den Meiler bediente, seinen Hilferuf gehört. Mit der Schürstange eilte der Brave herbei und erschlug den Eber. Zum Dank erbaute ihm id=der Kurfürst das Haus und erlaubte ihm, einen kleinen Ausschank einzurichten. Der Köhler aber nagelte zur Erinnerung den Kopf des Ebers als Wirtshausschild über der Tür fest, wie die Jäger tun, die an ihrem Hause das Geweih eines Hirsches anbringen. Das geschah genau ein Jahr vor dem Tode des Kurfürsten.

Kurfürst Joachim II (1505 – 1571) war ein Anhänger der Reformation. Er ließ Brandenburg 1539 von der katholischen zur evangelischen Kirche wechseln. Diese Legende ist zu hören auf Soundcloud, YouTube oder Spotify.


Der Teufelsstein im Humboldthain

An der Quelle im Humboldthain liegen viele große Steine. Der größte stammt aus Prenden bei Bernau. Damit hat der Teufel nach der Kirche zu Prenden geworfen, um sie zu zertrümmern. Er traf aber nur die Wetterfahne; deshalb steht sie noch heute schief. Der Stein blieb dann am Wege liegen, bis ihn die Berliner hierher brachten. Aber er war so schwer, dass sie einen eigenen Wagen dazu bauen mussten, und wog wohl 700 Zentner.

Kurze Rechnung: wenn 700 Zentner 35 Tonnen entsprechen und ein Findling eine Dichte von rund zwei Tonnen pro Kubikmeter hat, dann wäre das ein Stein der etwa drei mal drei mal zwei Meter groß ist.
Diese Legende ist auch zu hören auf Soundcloud, YouTube oder Spotify.


Das Licht in der Sebastiankirche

Auf dem Gartenplatz stand früher das Hochgericht. Hier wurde am 2. März 1837 die Witwe Meyer gerädert, die ihren Mann, während er schlief, mit dem Beil erschlagen hatte. Wie die Sage berichtet, hatte die achtjährige Tochter der Mutter bei der Mordtat mit der Laterne geleuchtet.

Sebastiankiche
St. Sebastiankirche.
Foto: Archiv „anno erzählt“

Heute steht auf der Richtstätte die Sebastiankirche, und an der Eingangstür ist das Bildnis St. Sebastians, der unschuldig getötet wurde, angebracht.

Wer um die Mitternachtsstunde dort vorüber kommt, sieht wohl im Innern der Kirche ein flackerndes Licht, das bald an dem einen, bald am andern Fenster erscheint. Das kommt von der Laterne, welche die „alter Meyern“ in der Hand trägt. Die Unglückliche kann nämlich im Grabe keine Ruhe finden und steigt dann und wann aus der Gruft auf. Seit aber die Sebastiankirche erbaut ist, sieht dort alles anders aus als früher. Darum kann die alte Frau die Grabstätte manchmal nicht wiederfinden. Dann wandelt sie mit der Laterne auf und ab und sucht.

Die letzte Hinrichtung am Galgenplatz fand am 21. Juni 1839 statt. Gerichtet wurde der 25-jährige Raubmörder Johann Gottlob Gurlt. Wie pietätlos öffentliche Hinrichtungen abliefen, ist zu hören auf Soundcloud, YouTube oder Spotify.


Die Glocken der Sebastiankirche

Wer nachts zwischen 12 und 1 über den Gartenplatz geht, hört zuweilen ein leises Klingen; das kommt von den Glocken der Sebastiankirche her, die von selbst zu läuten anfangen, ohne dass jemand am Seile zieht.


Der Krebs an der Sebastiankirche

Die Sebastiankirche auf dem Gartenplatz ist das größte katholische Gotteshaus Berlins. Da mussten denn viele ihr Scherflein beisteuern. Endlich fehlte nur noch das Dach. Da fand sich ein frommer Mann, der es ganz allein auf seine Kosten darauflegen ließ, damit die Kirche endlich fertig würde. Weil er aber Krebs hieß, brachte man am Turme das in Stein gehauene Bildnis eines Krebses an.

Auch für den Turmbau soll Krebs viel Geld gespendet haben, damit der Turm recht hoch würde, und darum wurde gerade hier das Erinnerungszeichen angebracht.


Der kleine Hans in der Müllerstraße
Müllerstraße 1892
Häuschen an der Müllerstraße 1892.
Foto: Archiv „anno erzählt“

In der Müllerstraße zwischen Trift- und Seestraße gab’s vor nicht gar langer Zeit noch ein altes, graues Häuschen, das hatte sich schon tief in die Erde hineingestanden und war so klein, dass man beinahe darüber wegschauen konnte. Hatte der Besitzer einmal den Hausschlüssel vergessen, so brauchte er nicht zu klopfen, wenn er heimkehrte. Er „langte“ dann einfach mit dem Arm durch den Schornstein in die Stube und nahm den Schlüssel vom Nagel am Türpfosten. Daher merkte es die Frau auch nicht, wenn ihr Mann einmal später nach Hause kam, als er sollte.

Die Müllerstraße war bis zum Bauboom der Kaiserzeit nur karg bebaut – siehe Foto. Diese Geschichte ist als „Das schmale Handtuch“ zu hören auf Soundcloud, YouTube oder Spotify.

Die Dankeskirche
Dankeskirche
Die Dankeskirche um 1900.
Foto: Archiv „anno erzählt“

Der alte Kaiser Wilhelm war so gut, dass ihm kein Mensch etwas Böses nachsagen konnte, und doch hat man ihm nach dem Leben getrachtet. Das geschah im Jahre 1878 in der Straße Unter den Linden. Aber obgleich das noch nicht allzu lange her ist, meinen doch einige, es sei auf dem Wedding geschehen; denn da habe man ja zum Andenken eine Kirche gebaut. Viele haben damals ihr Scherflein dazu beigetragen. Weil man nun beim Einsammeln der Gelder so oft „Danke schön!“ sagen musste, hat man die Kirche, wie man meint, die „Dankeskirche“ genannt.

Tatsächlich gab es zwei dicht aufeinanderfolgende Attentate im Frühjahr 1878 auf den deutschen Kaiser. Er überlebte beide. Die Empörung führte zu den Sozialistengesetzen, mit denen Vereine im Umfeld der jungen Partei SPD verboten wurde. Die Dankeskirche auf dem Weddingplatz wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und durch einen ansprechenden modernen Bau ersetzt.


Die Sage vom Plötzensee

Vor vielen, vielen Jahren lag da, wo heute die Wellen des Plötzensees rauschen, ein liebliches Dörfchen, umgeben von saftigen Wiesen und wohlangebauten Feldern. Ein großer Ziehbrunnen erhob sich breit und behäbig auf dem Dorfplatze, umschattet von einer uralten, breitästigen Linde.

Einst lebte in dem Dörfchen ein roher und gewalttätiger Dorfschulze, der die Bewohner bedrückte, wo er nur konnte, so dass sie ihres Lebens nimmer froh wurden. Je mehr sein Reichtum zunahm, desto geiziger, hartherziger und unbarmherziger wurde er, und niemand konnte gegen ihn etwas ausrichten, Menschenmacht hatte hier ein Ende. Da erbarmte sich der Geist des Ziehbrunnens der geknechteten Menschen.

See
Foto: Sulamith Sallmann

Von einem Nachbardorfe, wo er vorteilhaft Holz verkauft hatte, kehrte der Dorfschulze eines Abends spät heim. Er war sehr vergnügt. Da sprang ihm am Kreuzweg der Geist auf den Rücken und hielt sich am Nacken fest. „Trage mich schnell nach dem Nachbarorte zurück“, so rief er grollend dem zu Tode Erschrockenen zu. Dieser fluchte greulich und sträubte sich aus Leibeskräften. Aber nichts half. Der lachende Geist stieß dem Schulzen die Beine in die Seiten, wie man es bei einem störrischen Pferde tut, und der Dorfschulze musste seinem seltsamen Reiter willfahren.

Über Stock und Stein ging der Ritt in mitternächtiger Stunde dahin, bis der Geist kurz vor dem Nachbardorfe die Umkehr befahl. Nochmals wurde dieselbe Strecke zurückgelegt, und der Reiter drückte immer schwerer und schwerer, so dass der Dorfschulze schließlich nicht weiter konnte und erschöpft in die Knie sank. Aber mit dem Rufe: „Nun fühlst Du selbst, wie Du die Armen bisher bedrückt hast! Vorwärts, Du Leuteschinder!“, trieb ihn der unerbittliche Rächer zu neuem Lauf an.

Als sie nach längerer Zeit, die dem Schulzen wie die Ewigkeit vorkam, am Dorfbrunnen anhielten, wurden die Griffe des Rachegeistes lockerer. Das benutzte der schlaue Bauer, schleuderte mit letzter Kraft seinen Plagegeist in den Brunnen und rief ihm höhnisch einen kräftigen Fluch nach. In diesem Augenblicke ertönte ein furchtbares Getöse. Dann senkte sich langsam der Boden und mit ihm versank alles: die Häuser, die Bäume, die Wiesen, die Acker, die schreienden Menschen. Immer mehr Wasser stieg rauschend aus dem Brunnen und bedeckte alles mit seinen kühlen Fluten. Nicht blieb vom Dörfchen und seinen Bewohnern übrig; ein wogender See bedeckt seitdem weithin die Gegend.

Im See aber schwimmen viele Plötzen umehr. Hin und wieder taucht ein gewaltiger Hecht auf, der die kleineren Fische ruhelos im See umhertreibt.

Wenn aber in stillen Nächten der Vollmond neugierig auf den See niederblickt, dann läuten die versunkenen Kirchenglocken leise und langsam in der Tiefe. Erschreckt flüchtet der Hecht ins Röhricht, während die Plötzen ganz regungslos stehen, als ob sie andächtig den fernen Klängen lauschen.

Ein ähnliche Sage ist zu hören auf Soundcloud, YouTube oder Spotify.


„Schulmänner“ des Bezirks Wedding schrieben 1924 das „Heimatbuch vom Wedding“. Herausgeber war Schulrat Dr. Franz Gottwald. Ziel war ein „Schul-, Familien- und Volksbuch“. Kribe Verlag, 1924.