Recht und Ordnung

Vor mehr als 250 Jahren

„Wir springen zurück ins Jahr 1728. Die Dirne, also ein ‚leichtes Mädchen‘, Dorothea Steffin ging von Berlin auf den Wedding. Wir wissen nicht, welchen Weg sie nahm, vielleicht hier entlang, wo sich heute der Humboldthain befindet. Damals war hier noch alles Natur von der Torstraße bis hinaus zur Badstraße, wo der Gesundbrunnen war. Der Wedding war zu jener Zeit nur ein Gehöft. – vermutlich in Höhe Wiesenstraße. Die junge Frau ging also vor 250 Jahren irgendwo durch die Sanddünen und begegnete einem schönen Herren, einem Kavalier. Leider handelte es sich dabei aber um den Teufel.Hexe Dorothea Steffin Das behauptete sie selbst steif und fest. Sie wurde deshalb als Hexe angeklagt. Hier ein Bild, wie es sich ein zeitgenössischer Illustrator die Begegnung vorgestellt hat. Dorothea Steffin hatte Glück. Der Kurfürst – Friedrich der Große war noch nicht im Amt – hatte 1714 verfügt, dass er bei jedem Hexenprozess das Urteil erst selbst bestätigen will. Allen Richtern war klar, dass er so die Todesstrafe bei Hexenprozessen verhindern wollte. Ob Dorothea Steffin das auch wusste, ist nicht bekannt. Sie wurde jedenfalls als Hexe verurteilt. Als letzte in Berlin. Und sie kam in das ‚Spinnhaus‘ nach Spandau – also in die Irrenanstalt, denn von einer Nervenheilklinik konnte nicht gesprochen werden.“


Polizeireviere

1910 Polizeireviere
1910

Ringvereine und düstere Machschaften

„Hier ein schöner Fall, der zeigt, dass oft nicht klar ist, wo das Verbrechen beginnt und das Geschäft zu Ende ist. In den goldenen 1920er Jahren gab es in Berlin so genannte Ringvereine. Das waren keine Sportvereine. In der Satzung stand: ‚Vereinsziel ist Hebung der Geselligkeit‘. In Wahrheit waren es Einbrechervereinigungen. In unserem Kiez berüchtigt war die Kolonne Wedding. Aber unter diesen Verbindungen gab es auch „gehobene“ in Anführungszeichen. Hier in der Spandauer Vorstadt, wozu das Brunnenviertel damals gehörte, gab es zum Beispiel den Verein Immertreu. Ihr Chef war der Muskel-Adolf. Immertreu gehörte zu den zwölf führenden Vereinen, die sich zum „Ring Groß-Berlin‘ zusammengeschlossen hatten. Nach außen hin traten sie sehr elegant auf. Sie galten als Zylindermänner, als ehrenhafte Ganoven. Aber Mitglied konnte nur sein, wer mindestens zwei Jahre Zuchthaus nachweisen konnte. Einerseits. Andererseits: Man konnte auch Ehrenmitglied werden. So ein Ehrenmitglied war zum Beispiel Ernst Gennat von der Mordkommission, von den Zeitungen der ‚Buddha vom Alexanderplatz‘ genannt. Auch der Berliner Oberbürgermeister Gustav Bös soll Beziehungen gepflegt haben. Als er vom Ringverein einen Pelz geschenkt bekam, stolperte er politisch über diese Affäre.

Heute würde man die Aktien-Mieze, den Schielheinze, den lahmen Karl der organisierten Kriminalität, also der Mafia zuordnen. In der Weimarer Republik tat man sich aber schwer, die Mafia zu bekämpfen. Es gelang nicht, Zuhälterei, Wettbetrug oder Schutzgelderpressung zu beweisen. Die Nazis machten dann übrigends kurzen Prozess. Viele Bandenmitglieder landeten in KZs, mehrere von ihnen kamen dort um.“

„Ein zweiter Fall von Schieberei im Brunnenviertel ist ebenfalls sehr interessant. In der Swinemünder Straße wohnte während des zweiten Weltkrieg Martha Rebbien. Das war eine 55-jährige arbeitslose Kellnerin und sie war eine Schieberin. Aber sie ging ganz anders vor als die Ringvereine in der Weimarer Republik. Sie hatte zwar Kontakte zu anderen Händlern, aber sie ist kein Beispiel für organisierte Kriminalität. Sie war auf sich gestellt. Sie organisierte gewissermaßen einen Schwarzmarkt, wie sie nach dem Krieg auf offener Straße abgehalten wurden. Zum Beispiel in der Brunnenstraße an der Kreuzung Bernauer Straße oder auch am Bahnhof Gesundbrunnen. Man muss wissen, dass die NS-Regierung ab 1939 begann Waren zu rationieren. Das lockte, Geschäfte zu machen. Mit Waren aus den besetzten Gebieten, mit Währungen und der Klassiker: ‚Frauen‘. Am 9. November 1944 wurde Frau Rebbien verhaftet. Die Nazis nahmen den Schwarzhandel sehr ernst. Die Ermittlungsakte war 200 Seiten dick. Noch am 31. März 1945 wurde die Anklageschrift verlesen. Aber es kam nicht mehr zu einem Urteil. Ihr Verbrechen war, dass sie gegen das ‚Kriegswirtschaftsgesetz‘ verstoßen hatte.


Sittlichkeitsverbrechen: Der Fall Lucie Berlin

„Hier wollen ins Jahr 1904 schauen. Im Juni wurde das achtjährige Mädchen Lucie Berlin, das genau hier in der Ackerstraße 130 wohnte, ermordet. Dieses Verbrechen ist aus dem Grund interessant, weil er ein hartes Schlaglicht auf die Zustände zur Jahrhundertwende wirft. Zunächst schockiert natürlich, dass ein kleines Mädchen umgebracht wurde. Und blickt man auf die Zustände, unter denen das Mädchen aufwuchs, dann erschrickt man wohl noch mehr.
Vermisst wird das Kind um 13 Uhr. Es kommt nicht vom Abort zurück. Das Klo ist nicht in der Wohnung, sondern ‚halbe Treppe‘ wie man damals sagte. Die Mutter bleibt aus heutiger Sicht seltsam gelassen. Geht noch Nachbarn besuchen. Erst abends, als der Vater von der Schicht kommt, geht dieser zur Polizeistelle in der Usedomer Straße und meldet seine Tochter als vermisst.
Vernachlässigung oder normale Selbstständigkeit der Kinder damals?
Dann wird das Mädchen tot aufgefunden. Verdächtigt wird der Zuhälter Lenz. Der hat keine eigene Adresse – ist also quasi wohnungslos. Er haust bei der Prostituierten, Frau Seiler, in eben der Ackerstraße 130. Aber manchmal auch woanders. Haarsträubend daran ist, dass Lucie oft in der Wohnung der Seiler spielte, weil sie manchmal Botengänge übernimmt.
Der beschuldigte Lenz zauberte jedoch nach ein paar Tagen ein Alibi aus dem Ärmel. Von da an wird Theodor Berger verdächtig. Ebenfalls ein Zuhälter. Er war am Tattag in der Wohnung der Nachbarin des Mädchens Lucie Berlin. Die Nachbarin ist ebenfalls eine Prostituierte. Das heißt: in einem Aufgang zwei Zuhälter und zwei Prostituierte. Scheinbar ganz normal damals. Oder doch krasse Zustände, für die die Spandauer Vorstadt damals bekannt war? Zuletzt gesehen hatte das Mädchen ein Leierkastenmann, der oft durch die Hinterhöfe zog; die Kinder kannten ihn. Mit anderen Worten: Betteln war Alltag. Ebenfalls kurz vor dem Verschwinden wurde das Mädchen vom Tischler in seiner Werkstatt im Erdgeschoss gesehen. Man kann sich vorstellen, es war laut hier, nicht so idyllisch und lauschig wie heute. Theodor Berger wurde dann zu 15 Jahren Haft verurteilt. Aber es blieben Zweifel an seiner Schuldigkeit, da es lediglich ein Indizienprozess war. Viele Fragen blieben ungeklärt. Theodor Berger beteuerte bis zum Schluss seine Unschuld am Mord, gab aber zu, einen ‚liederlichen‘ Lebenswandel zu haben. Er war auch bereits mehrfach vorbestraft.
Gibt man Internet ‚Lucie Berlin‘ ein, so findet man zahlreiche Veröffentlichungen und kann sogar die Gerichtsverhandlung nachlesen.”